Unter festen Wortkomplexen versteht man reproduzierbare Syntagmen, Wortverbindungen, prädikative Verbindungen und Sätze, die über eine besondere Semantik verfügen. Ihre Erscheinung und ihre Existenz in natürlichen Sprachen ist eine Folgeerscheinung des Widerspruches zwischen der Unendlichkeit der menschlichen Erkenntnis, der gesellschaftlichen Praxis und der beschränkten Zahl der Wurzelmorpheme. Damit sind Phraseologismen ein Mittel zur Erweiterung des Wortschatzes, zur Benennung der Erscheinungen und Objekte der Wirklichkeit.
In der Germanistik wurden mehrere Versuche gemacht, die Phraseologismen nach semantischen, funktionalen oder strukturellen Prinzipien zu klassifizieren. Einer davon ist die Klassifikation von I.I. Černyšewa, die als strukturell-semantische bezeichnet werden kann und die sowohl in der vaterländischen, als auch in der ausländischen Fachliteratur bekannt und anerkannt ist. In ihrer Klassifikation unterscheidet I.I. Černyšewa zwei große Klassen:
1. Phraseologismen (im engen Sinne des Wortes)
2. Feste Wortkomplexe nicht phraseologischen Typs.
Als eigentliche Phraseologismen betrachtet I.I. Černyšewa nur die erste Klasse. Der Phraseologismus ist eine komplexestehende Wendung mit übertragener Bedeutung.
Die erste Klasse der stehenden Wortverbindungen zerfällt sich in drei Subklassen:
a) phraseologische Einheiten (der Struktur nach sind sie Wortgruppen, der Semantik nach völlig transformiert, haben völlig indirekte Bedeutung z.B. mir fällt ein Stein vom Herzen);
b) festgeprägte Redensarten, oder Sprichwörter (der Struktur nach sind sie festgeprägte Sätze, der Semantik nach sind sie völlig transformiert z.B. Alle Anfang ist schwer; Ende gut alles gut; Übung macht den Meister);
c) phraseologische Verbindungen (der Struktur nach sind sie adjektivische Wortgruppen, der Semantik nach nur eine Komponente ist transformiert, und die andere bleiben mit seine Bedeutung z.B. schwarzer Markt, goldene Zeit, weißer Tod).
Die Phraseologismen haben meist einen wertender Charakter. Es werden psychische Zustände der Menschen ausgedrückt.
Zu den Merkmalen der Phraseologismen werden von I.I. Černyšewa singuläre Verknüpfbarkeit der Konstituenten und semantisch-transformierte (übertragene) Bedeutung gezählt.
Auch im Unterschied zu den freien Wortverbindungen weisen feste Wortkomplexe folgende Merkmale auf:
1) Polylexikalität - feste Wortkomplexe bestehen aus mehr als einem Wort.
2) Festigkeit - wir kennen den festen Wortkomplex in genau dieser Kombination von Wörtern.
a) lexikalisch-semantische Stabilität, d.h. kein Lexem darf durch ein anderes ersetzt werden:
bei jmdm. einen Stein im Brett haben (на хорошем счету)
(Man darf im Phraseologismus kein Wort durch ein Synonym ersetzen.)
b) Stabilität der grammatischen Struktur:
auf des Messers Schneide stehen (in Gefahr sein)
(Man darf in grammatischer Sicht nichts ändern.)
3) Semantische Einheit der Phraseologismen - Die Phraseologismen (darunter wird die engere Gruppe der festen Wortkomplexen gemeint) haben einen hohen Grad der Idiomatisierung (darunter versteht man die semantische Transformation oder Umdeutung der Komponenten des Phraseologismus). Die Bedeutung des Phraseologismus ist etwas ganz anderes als die Bedeutung seiner Bestandteile und zwar das Resultat der semantischen Transformation aller oder einiger seinen Komponenten:
z.B. etwas schwarz sehen („pissimistisch sein") Die Bedeutung des Phraseologismus läßt sich nicht in die Bedeutungen von schwarz und sehen zerlegen, sondern bildet eine Einheit.
4) Auf Grund dieser Merkmale spricht man von der Reproduzierbarkeit der festen Wortkomplexen.
5) Unmotiviertheit der Phraseologismen - das Benennungsmotiv läßt sich meistens nur auf der Basis historischer Kentnisse erschließen:
den Rubekon überschreiten (entscheidende Maßnamen treffen). Dieser Phraseologismus geht auf die Zäsar-Zeiten zurück: Zäsar überschritt den Fluß Rubikon und begann den Krieg gegen den Senat und die Republik.