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Lehrstellen bleiben unbesetzt




 

Lehrling, wo bist du? Deutsche Betriebe und Unternehmen bieten viele Plätze an, aber geeignete Bewerber sind Mangelware. Viele Jugendliche wollen lieber studieren.

Betriebe und Unternehmen sind zunehmend besorgt: Seit einigen Jahren gibt es in Deutschland den Trend, dass immer mehr Lehrstellen unbesetzt bleiben. 2005 meldeten noch 12 Prozent der Unternehmen, dass sie Stellen nicht besetzen konnten. Im vergangenen Jahr waren es schon doppelt so viele, und neue Hochrechungen führender Wirtschaftsverbände sehen auch für dieses Jahr einen Anstieg: 75.000 Lehrstellen, so glaubt der Deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK), werden 2011 unbesetzt bleiben. Und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) ergänzt, dass 11.000 Stellen davon allein auf das Handwerk entfallen.

DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann bemängelt vor allem, dass es an geeigneten und ausbildungswilligen Bewerbern fehle. Die Pisa-Studie - die das Bildungsniveau in Europa untersucht - untermauert das. Demnach können 20 Prozent der deutschen Schulabgänger nur auf Grundschulniveau lesen und schreiben, sind also nicht ausbildungsreif, das entspricht 170.000 Jugendlichen. Thilo Pahl, Ausbildungsexperte der DIHK, kündigt deshalb an, dass die Betriebe ihre Ansprüche weiter senken müssten. "Es gibt einen Spielraum nach unten, der ist aber nicht beliebig."

Universitäten sind für viele Jugendliche attraktiver

Überfüllte Hörsäle an deutschen Universitäten

Das Hauptproblem: Viele geeignete Bewerber verlieren die Betriebe und Unternehmen an die Universitäten. Diese erleben gerade einen regelrechten Boom, sie kommen mit dem Ansturm von Studienanfängern kaum noch zurecht. "Je mehr Studenten wir haben, um so enger wird es bei der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen", meint Pahl. "In den Medien liest man viel darüber, dass es zu wenige Akademiker gibt. Das hat den Run auf die Hochschulen mit ausgelöst. Das Duale System - die Kombination aus betrieblicher und schulischer Ausbildung - wird leider vielfach wahrgenommen als Ausbildung zweiter Klasse. Dabei gibt es auch hier hervorragende Karrieremöglichkeiten. Eine Ausbildung ist ja vielfach nur der Beginn, Fortbildungen ermöglichen den Einstieg in weit höhere Gehaltsklassen."

Dies den Jugendlichen klar zu machen, ist laut Pahl die große Herausforderung für die Zukunft. Alexander Legowski vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fordert, schon in einem möglichst jungen Alter damit anzufangen: "Die Jugendlichen müssen sich frühzeitig orientieren können, am besten vor Beginn der Pubertät. Das wird in den Familien oft nicht geleistet, vor allem auch in Migrantenfamilien, die häufiger ausbildungs- und überhaupt bildungsfern sind und unser System manchmal nicht wirklich kennen."

Auch Tischlerbetriebe suchen Lehrlinge

Wenn die Betriebe nicht selbst aktiv würden und in den Schulen Präsenz zeigten, dann sei das Rennen um die Jugend schon verloren, ergänzt Pahl: "Wenn die Betriebe die Stellen nicht mehr besetzen können, müssen sie verstärkt die Jugendlichen dort abholen wo sie sind." Die Betriebe leisten aber schon jetzt einiges, um ihre Lehrstellen zu besetzten, auch mit Jugendlichen, die nicht unbedingt ihren Anforderungen entsprechen. Etwa die Hälfte der Betriebe soll zum Beispiel schon Nachhilfe für ihre Lehrlinge anbieten.

"Das deutsche Ausbildungs-System ist eigentlich ein Erfolgsmodell"

Für Ausbildungsexperte Pahl hängt viel davon ab, ob die Betriebe mit diesen Maßnahmen auch wirklich Erfolg haben: "Für Betriebe hat das eine große Bedeutung, denn durch Ausbildung können sie sich ihren eigenen Fachkräftenachwuchs passgenau qualifizieren. Das ist ein System das Deutschland stark gemacht hat. Viele Innovationen kommen deshalb aus dem Fachkräfte-Bereich. Wir haben mit etwa zehn Prozent eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit, die drittniedrigste zur Zeit in Europa. Das duale Ausbildungssystem ist ein Erfolgsgarant gewesen, auch für unsere export-orientierte Wirtschaft. Und wenn man jetzt Stellen nicht besetzen kann, dann fehlt dieser Nachwuchs."

Vorbereitung für die Ausbildung: Bewerbung schreiben

Die Frage lautet also, wie man die Jugendlichen wieder verstärkt für eine Lehre begeistern kann. Der SPD-Politiker Ernst Dieter Rossmann forderte im Bundestag unlängst, die Lehrlingsgehälter anzuheben. Das könne aber nicht alles sein, meint Thilo Pahl: "Das Gesamtpaket muss stimmen, zum Beispiel die Karrierechancen, das Arbeitsklima, oder ein möglicher Auslandsaufenthalt während der Ausbildung. Viele Unternehmen können sich höhere Gehälter aber nicht leisten."

Ausbildungs-Vergütung ist nicht alles

Alexander Legowski vom ZDH ist deshalb generell skeptischer. Er meint, die Lehrlingsgehälter anzuheben bringe nichts: "Für ein Studium muss man bezahlen, und bei einer Ausbildung bekommt man sogar noch etwas draufgelegt und hat gute Berufs-Aussichten. Auf dem Bau gibt es auch mal das doppelte oder dreifache an Ausbildungs-Vergütung im Vergleich zu einer Friseur- oder Goldschmied-Ausbildung. Trotzdem gehen da zu wenige Jugendliche hin, weil der Beruf nicht attraktiv genug erscheint."

Offensichtlich ist also noch viel Lobby-Arbeit nötig, um die Karriere-Chance Lehre in den Köpfen von Jugendlichen zu verankern. Bei weiter sinkenden Schulabgängerzahlen, vor allem im Osten Deutschlands und in strukturschwachen Regionen auf dem Lande, sehen die Wirtschaftsverbände dringenden Handlungsbedarf.

Autor: Klaus Jansen Redaktion: Pia Gram

 

Karte 37. Leseverstehen: Aufgabe (1) Globales Lesen (871 Wörter; 6007 Zeichen) 10 Min.

 

Fremd im eigenen Land

 

 

Wer ist hier kein Deutscher? - Straße in Berlin

Wer einen Migrationshintergrund hat, kann sich noch so vorbildlich in die deutsche Gesellschaft integrieren - und dem Alltagsrassismus dennoch nicht entkommen. Denn darüber bestimmen Aussehen und Name.

 

Bei Christian Keller hat es bis kurz vor Ende seines Studiums gedauert, bis er wusste, wie das ist, wenn man einfach nur einer von vielen ist. Das war, während er auf den Philippinen für seine Diplomarbeit im Fach Betriebswirtschaftslehre forschte. Keller saß in einem dieser typischen philippinischen Kleinbusse - einem Jeepney - und die Leute um ihn herum nahmen kaum Notiz von ihm. "Das war richtig rührend, dieses Gefühl: Ich falle nicht auf", erinnert er sich. Aber es habe sich auch Trauer in dieses Gefühl gemischt. Denn es wurde ihm klar, mit welcher Last er die letzten 30 Jahre als Deutscher mit philippinischen Vorfahren in Deutschland gelebt hatte.

 

Christian Keller macht den Eindruck, als komme er mit den irritierenden und eigentlich verletzenden Verhaltensweisen seiner Umwelt durchaus zurecht. Der 42-jährige Berliner lacht meistens darüber. Zum Beispiel, als er in einer süddeutschen Stadt mit seiner Tochter auf dem Marktplatz steht und eine ältere Frau ihren Partner, ganz schamlos drei Schritte neben Keller, fragt, ob das denn sein könne, dass der Mann mit den kräftigen schwarzen Haaren und dem dunklen Teint wirklich der Vater des rotblonden Mädchens sei. Schon drollig diese Leute. Aber der Spaß hat für den Berliner Grenzen. "In der sächsischen Provinz hat mir ein Skinhead zugerufen: 'Schau mal der Fidschi!' Da fahre ich natürlich nicht mit meiner Frau und den Kindern hin." Für sich persönlich sieht er wenig Gefahr: Er ist ein Schrank von einem Mann, ein ehemaliger Football-Spieler und Kampfsportler. Er tritt sicher auf, zeigt, dass man besser nicht daran denken sollte, sich mit ihm anzulegen. Aber er sagt auch, dass sein "Radar" immer läuft und er genau registriert, was um ihn herum passiert, "besonders wenn ich mit meiner Familie unterwegs bin." Das ist eine dauernde Anstrengung. Das nervt ihn.

 





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