Der Vielfalt menschlicher Begabungen entspricht eine Vielfalt möglicher Bildungswege. Der mittlere, zentrale Weg führt von der Grundschule über die Hauptschule in die Berufsausbildung. Dieser Weg ist für viele junge Menschen der sicherste. Wer die Dinge lieber praktisch angeht, für den ist die Hauptschule die richtige Schule. Die Hauptschule führt auf dem kürzesten Weg zur Berufsausbildung.
Auf der Grundschule baut neben der Hauptschule auch die Realschule auf. Diese Schule bietet Schülern mit theoretischer und praktischer Begabung eine Alternative zum Weg über die Hauptschule in die Berufsausbildung. Mit dem Abschlusszeugnis einer Realschule können die Schüler eine Berufsausbildung aufnehmen oder in eine Fachoberschule eintreten.
Der Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium (ab 5. Klasse) stellt eine weitere Alternative dar. Begabte Schüler können ab Klasse 5 bis Klasse 12 oder 13 das Gymnasium besuchen, das mit dem Abitur abschließt. Das Abitur berechtigt zum Studium an allen Hochschulen und Universitäten. Zu den Eigenschaften eines künftigen Gymnasiasten sollten vor allem die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit theoretischen Problemen gehören. Zwar treten heute nicht wenige junge Menschen nach dem Abitur unmittelbar in das Berufsleben ein, das Hauptziel des Gymnasiums ist aber der Erwerb der allgemeinen Hochschulreife und ein anschließendes Studium.
Ein großes Problem in Deutschland ist die Jugendarbeitslosigkeit. Viele Jugendliche finden nach Abschluss der Hauptschule keine Lehrstelle. Auch für Absolventen der Realschule ist es oft schwer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Abiturienten müssen oft ein paar Jahre auf einen Studienplatz warten. Und für viele bleibt ihr „Traumberuf" leider ein Traum …
Seit einigen Jahren wird in Deutschland das Thema Gesamtschule heftig diskutiert. Es gibt die Meinung, dass durch die Einführung der Gesamtschule die Erziehung der Kinder durch die Eltern beeinträchtigt, d.h. zurückgedrängt wird. Andere betonen die Vorteile, die diese Schulform besonders für Kinder hat, deren Mütter berufstätig sind.
Was sind Vorteile: Die Kinder bekommen Hilfe bei den Hausaufgaben und können auch in der Freizeit in der Gemeinschaft ein vielfältiges Angebot nutzen. Vielleicht kann die Gesamtschule auch dazu beitragen, die Kinderkriminalität zu senken.
Karte 16. Leseverstehen: Aufgabe (1) Globales Lesen (913 Wörter; 4879 Zeichen) 6 Min.
Erinnerungen und Gedanken
In seinem Buch „Erinnerungen und Gedanken" berichtet Golo Mann über seine Schulzeit auf Schloss Salem, einer privaten Internatsschule in Baden-Württemberg:
Im Dezember 1922 taten Mutter und ich die Reise nach Salem zum ersten Mal. Sie hatte verstanden, und dafür bin ich ihr dankbar, dass ich für eine Zeit aus dem Haus musste, in dem ich mich nicht mehr wohl fühlte. Nach dem Abendessen lud man uns ein, im „Wohnzimmer" des Internats einer musikalischen Veranstaltung beizuwohnen. Ein stattlicher Raum, elegant möbliert, eine Dame am Klavier. Was sie bot, interessierte mich nicht weiter. Die Schüler interessierten mich, Mädchen und Jungen, von den Letzteren aber bedeutend mehr, im Alter zwischen elf und achtzehn, ihrer Sprache nach aus allen Gegenden Deutschlands. Die Kinder waren von gebildeter Nettigkeit zueinander … Es gab große Zimmer, mit sieben oder acht Schläfern, kleine mit dreien oder vier. Jedes hatte seinen „Zimmerführer", der verantwortlich war für Ordnung und Sauberkeit. Die „Kleinen" hatten um halb neun zu Bett zu gehen, die „Mittleren", zu denen ich gehörte, um neun, die „Großen" um halb zehn. Um halb sieben wurde geweckt. Die Toilette am Morgen bestand im Waschen des Gesichts und einem Krug kalten Wassers, mit dem man sich „abzugießen" hatte, bald gab es Duschen dafür. Dann anziehen, das Zimmer ordnen, Frühstück: warmer Haferbrei mit Milch.
Um acht begann der Unterricht und dauerte bis eins, unterbrochen durch eine dreiviertelstündige Trainingspause: Hochsprung, Weitsprung, Hundertmeterlauf.
Um ein Uhr das Mittagessen, dem Essen folgte das Liegen: Man lag flach auf dem Boden eines der Zimmer und hörte, wenn man nicht schlief, einer Lesung zu. Es las einer der Großen. Nachmittags gab es Sport, meist war es Hockey, danach Zeit, um Hausaufgaben zu machen. Vor dem Abendessen hatte man heiß zu duschen, danach Wäsche und Kleidung zu wechseln. Der Schulanzug war ein graues Flanellhemd und ebensolche Shorts. Nach dem Abendessen war man endlich frei, aber die Zeit nicht mehr lang. Ich verbrachte sie mit Lesen oder, ungern zwar, Briefen nach Hause. Die Schulklassen waren klein, etwa zwischen sieben und zehn Teilnehmern, die Lehrer jung… Es herrschte ein netter Ton zwischen uns, nur selten war Streit…
Kurt Hahn, unser Direktor, war 36 Jahre alt, als ich ihn zum ersten Mal sah und reden hörte. Das Wort „faszinierend", so verbraucht es ist, kann hier nicht vermieden werden. Keineswegs wollte er faszinieren. Er war so, er konnte es nicht hindern. Er besaß hohe Intelligenz, Ideenreichtum, auch Humor, leidenschaftliche Überzeugung, um was immer es ging. Er konnte recht wohl irren, meistens hatte er dennoch Recht - zum Beispiel mir gegenüber. Nach ein paar Wochen kannte er meine Albernheiten und verstand, sie mir auszutreiben. Es war die Zeit, in der ich große Bösewichter bewunderte und selber einer zu werden hoffte, etwas wie Napoleons schlimmer Polizeiminister. Darauf erwiderte Hahn mit verstecktem Spott. Er sah, dass ich reale, gute Erlebnisse brauchte. So ließ er mich eines Tages einen Leiterwagen voller Hühner zu einem Bauern bringen, eine harte Arbeit - einen langen, holprigen Weg bergab und bergauf … Dazu kamen die Praktiken der Selbstkontrolle und Ehrlichkeit.
Nach ein paar Monaten erhielt man das Recht und die Pflicht, einen „Trainingsplan" zu führen, für den Tag oder die Woche die Erfüllung verlangter Aufgaben einzutragen …
In Mathematik war ich bis zur drittletzten Klasse miserabel, indem ich behauptete, ich verstünde die vorgetragenen oder an der Tafel gezeigten Rechnungen und Figuren nicht. Unser Mathematiklehrer wandte dagegen ein: Mathematische Gedankengänge seien etwas, was jeder durchschnittlich intelligente Mensch verstehen könne, unter der Bedingung, dass er von Anfang an aufpasse. Natürlich hatte er Recht, ich war faul gewesen, nichts weiter. Nun, angesichts des bedrohlich näherkommenden Abiturs, begann ich, mir ernsthaft Mühe zu geben, und es ging dann auch leidlich. Die liebsten Fächer waren mir Deutsch, Geschichte, dann kam Latein.
Mit dem Griechischen konnte ich nie viel anfangen, brachte es im Abitur mit knapper Not zu einer 3 und vergaß, was ich während fünf Jahren gelernt hatte, in den folgenden fünfzig so völlig, dass ich heute kaum die Schrift noch lesen kann.
Der Artikel erschien in "Der Weg" 3/2004
Karte 17. Leseverstehen: Aufgabe (1) Globales Lesen (455 Wörter; 2877 Zeichen) 3 Min.
Das deutsche Bildungswesen: Die Sekundarstufe II
Es ist eine schwierige Aufgabe, sie in einem kurzen Artikel über die Sekundarstufe II des deutschen Bildungswesens zu informieren. Ich möchte es hier aber trotzdem versuchen, und zwar am Beispiel des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
Wenn ein junger Mensch seinen Weg durch die Sekundarstufe II hinter sich gebracht hat, möchte er entweder 1. einen Beruf erlernt haben, um dann an einem festen Arbeitsplatz seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Oder er möchte 2. die Fachhochschulreife erworben haben, um damit an einer Fachhochschule oder in einem entsprechenden Studiengang an einer Gesamthochschule einen Diplom-Abschluss zu erwerben. Oder er möchte 3. die Allgemeine Hochschulreife besitzen, mit der er dann an einer Universität oder Hochschule ein Studium beginnen kann.
Zu 1.: Einen Berufsabschluss erwirbt der Jugendliche, nachdem er den gewählten Beruf mehrere Jahre lang in einem Ausbildungsbetrieb gelernt und zugleich eine zugeordnete Berufsschule besucht hat. Am Ende der Ausbildungszeit legt dann der Auszubildende - früher wurde er Lehrling genannt - sowohl eine berufstheoretische als auch eine berufspraktische Prüfung ab. Gelingt ihm das gut und mit einem bestimmten Notendurchschnitt, erwirbt der Absolvent zugleich auch die Fachhochschulreife. Im Studium an einer Fachhochschule kann er sich dann weiter und höher qualifizieren, um später günstigere berufliche Einstiegsmöglichkeiten zu haben.
Zu 2.: Die Fachhochschulreife erwirbt der junge Mensch im Normalfall am Ende der Klasse 12 einer Fachoberschule oder einer Berufsfachschule. An diesen Schulen ist die Ausbildung bereits auf das später gewünschte Berufsfeld ausgerichtet, z.B. auf Berufe in Wirtschaft und Verwaltung oder im Sozial- und Gesundheitswesen oder auf technische Berufe. Sie hat also große berufspraktische Anteile. Die erworbene Fachhochschulreife berechtigt dann wie gesagt zu einem Studium an einer Fachhochschule oder in entsprechenden Studiengängen einer Gesamthochschule. Die Absolventen dieser Bildungseinrichtungen erhalten ein staatliches Diplom, wenn sie die Abschlussprüfung bestehen.
Zu 3.: Die Allgemeine Hochschulreife (=das Abitur oder auch die Matura) wird im Unterricht der Oberstufe (=Klassen 11-13) eines Gymnasiums, einer Gesamtschule oder einer höheren Berufsfachschule erworben. In diesen Schulen können die Ausbildungsfächer und -kurse weitgehend von den Jugendlichen ausgewählt und mitbestimmt werden. Am Ende der Klasse 13 steht eine schriftliche und mündliche Prüfung, wobei die schriftlichen Anteile meist überwiegen. Wer das Abitur bestanden hat, ist zu einem Hochschul- oder Universitätsstudium berechtigt. Manche Studienfächer, z.B. Medizin, unterliegen einem so genannten "Numerus clausus", d.h. die Abiturprüfung muss mit einem vorher festgelegten oft sehr hohen Notendurchschnitt bestanden worden sein.
Nun hoffe ich, dass ich Ihnen das Verstehen des deutschen Bildungswesens nicht allzu schwer gemacht habe. In der nächsten Ausgabe des "Weges" werde ich versuchen, Ihnen das doch recht komplizierte deutsche Bildungswesen durch eine Graphik vereinfacht darzustellen. Bis dahin grüße ich Sie recht herzlich.
Lothar von Seltmann