.


:




:

































 

 

 

 


Viele spielen das Spiel von gestern




SPIEGEL-Interview mit Unternehmensberater Roland Berger über den Standort Deutschland

SPIEGEL: Ist die deutsche Industrie für die Zukunft gerüstet? Berger: Noch nicht. Wir waren zwar 1991 Vize-Exportweltmeister und sind auf vielen Gebieten Spitzenklasse. Um international weltbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir aber den Strukturwandel radikal vorantreiben. SPIEGEL: Was muß sich ändern?

Berger: Wir müssen uns auf neue Tätigkeiten umstellen. Die Deutschen sollten sich auf ihre Stärken besinnen und sich von allem lösen,wäs andere auch und dazu noch billiger können. SPIEGEL: Wo sind die Deutschen stark?

Berger: Wir sind stark in allen wissensintensiven und kreativen Arbeiten, im Erfinden, Entwickeln, Konstruieren, in der Fertigung von technologischen Herzstücken und Spitzenprodukten. Dazu zählt das Fiojekt-Maiiagemeni, das Financial engineering und das Planen, Steuern und die Logistik. Unsere Zukunft als Industrieland ist die eines Systemkopfes, aber nicht die eines Herstellers von Profilstahl und eines Hemdennähers.

SPIEGEL: Sie raten, Branchen wie Stahl und Textil aufzugeben? Berger: Im Gegenteil. Viele totgesagte Industriezweige wie selbst der Schiffsbau werden eine Renaissance erleben. Die Deutschen müssen sich aber auf die innovativen und systembezogenen Arbeiten sowie die modernsten Fertigungsmethoden konzentrieren. Sie müssen zum Beispiel Spezialschiffe und nicht Tanker bauen. In der Textilindustrie produziert das einstige Problem-Unternehmen Verseidag mit Erfolg und Gewinn hochtechnische Textilien, zum Beispiel für die Reifenproduktion. Escada und Boss gehören mit ihrer kreativen Mode zu den führenden Marken der Welt. Jede Branche hat Zukunft, aber nur mit intelligenten Lösungen. SPIEGEL: In welche Geschäftsfelder raten Sie zu investieren?

162


Berger: Die Phantasie kennt dann keine Grenzen. Es gibt viele Zukunftsfelder, etwa in der Medizintechnik, in der Meß und Regeltechnik, bei den Schienenfahrzeugen wie dem IGE, im Anlagenbau und in der Chemie. Alles, was elektronisch gesteuert wird, hat Zukunft und natürlich die Software-Industrie. Die einfachen Arbeiten wie Blechschneiden, Schweißen, Drehen, Fräsen, Zusammenbauen sollten wir anderen überlassen.

SPIEGEL: Wo bleibt in Ihrer Aufzählung die Automobilindustrie? Berger: Wir müssen uns damit abfinden, daß ein Auto ein Massenprodukt ist genauso wie ein Videorecorder oder eine Werkzeugmaschine in Standardausführung. Massenwaren sollten dort hergestellt werden, wo bei gleichwertiger Qualität und bei gleichem Automatisierungsgrad die Stückkosten niedriger sind.

SPIEGEL: Soll die deutsche Automobilindustrie ins Ausland abwandern, wo die Löhne niedrig sind?

Berger: Das tut sie doch schon. Ich entwickle hier kein Horror-Szenario. Seit vier Jahren haben wir jedem Klienten, auch wenn es nicht Gegenstand des Auftrags war, die Auswirkungen dieses unausweichlichen Prozesses vor Augen führen müssen. In allen klassischen Bereichen von der Automobilindustrie bis zum Maschinenbau müssen wir uns auf höherwertige Arbeiten konzentrieren. Der Seat aus Barcelona ist gewiß nicht schlechter als der VW aus Wolfsburg oder Emden. SPIEGEL: Wolfsburg und Emden haben keine Zukunft? Berger: Natürlich schon, aber schlanker strukturiert als heute. Das Design oder die hochtechnologischen Innereien eines Automobils wie alle elektronisch gesteuerten Aggregate erfordern intelligente Arbeiten, die weder nach Portugal noch nach Polen verlagert werden können. VW, um beim Beispiel zu bleiben, muß sich also lediglich umstellen. SPIEGEL: Sie fordern die Entindustrialisierung Deutschlands? Berger: Nein. Wenn wir industrielle Tätigkeit richtig begreifen, bedeutet das längst nicht das Ende Deutschlands als Industrienation. Der Weltmarkt wächst zu einer Einheit, und daher müssen wir die Arbeitsteilung unter den Ländern, neu organisieren, nach dem Motto: Intelligenz in Deutschland, mehr Komponenten von draußen und mehr Montage vor Ort, im In-und Ausland.

SPIEGEL: Das geht nicht ohne Freisetzung von Arbeitskräften. Berger: Keine Strukturveränderung, die nicht präventiv erfolgt, läuft ohne Härten ab. Mercedes, BMW und VW werden weit mehr Arbeitsplätze abbauen müssen, als sie bereits angekündigt haben. Andererseits entstehen durch die neuen Tätigkeiten neue qualifiziertere und humanere

163


Arbeitsplätze. Der Boom der letzten Jahre hat die Herren in Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften sorglos gemacht. Jetzt sind sie inzwischen wach geworden.

SPIEGEL: Aus Angst vor Japan?

Berger: Uns bleiben doch nur zwei Möglichkeiten. Wir lassen es so, wie es ist, dann dürfen allerdings die Löhne nicht mehr steigen, sondern müssen fallen. Oder wir lassen die Löhne steigen, weil wir mehr Wohlstand wollen. Dann aber müssen wir den Strukturwandel vorantreiben. SPIEGEL: Wie wollen Sie solche umwälzenden Prozesse in Gang setzen? Berger: Viele Verantwortliche, vor allem im Mittelmanagement, spielen leider das Spiel von gestern weiter, weil ihr eigener Arbeitsplatz in Frage stehen könnte.

SPIEGEL: Wenn die schon nicht mitziehen, warum sollen sich dann die Arbeitnehmer opfern?

Berger: Leider verstehen sich die Masse der Beschäftigten und ihre Organisationen noch weniger als Innovationsmotor. Die Gewerkschaften sind sehr beharrend. Die Deutschen haben die Eigenart zu warten, bis die Krise da ist, und dann nach dem Staat zu rufen. Wir brauchen eine konzertierte Aktion aus Politik, Unternehmern, Gewerkschaftern und Wissenschaftlern, möglichst auf europäischer Ebene, die sich mit dem Strukturwandel beschäftigt.

SPIEGEL: Soll die etwa entscheiden, ob die Hochöfen in Rheinhausen abgeschaltet werden?

Berger: Natürlich nicht, aber sie einigt sich auf die Rahmenbedingungen für den Stiuktuiwandel. Die Unternehmer und die Tarifpartner treffen dann schon die richtigen Entscheidungen selbständig. SPIEGEL: Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Krupp-Chef Gerhard Cromme und IG-Metall-Chef Fritz Steinkühler das befürworten würden? Berger: Ihnen würde nichts anderes übrig bleiben. Die Tschechen etwa haben pro Kopf hundert Prozent mehr Roh stahl-Kapazitäten als der EG-Schnitt. Und sie produzieren mit einem Zehntel der deutschen Löhne. Sollen die ihre Kapazitäten auch da halbieren, wo Qualität und Standorte stimmen? Sollen wir deren Atbeitslose bezahlen, damit sie nicht bei uns einwandern?

SPIEGEL: Welches Land empfehlen Sie für lohnintensive Fertigung? Berger: Für mich kommt derzeit die Tschechoslowakei in Frage, bei klaren politischen Verhältnissen auch Ungarn, Polen und das Baltikum. Die Löhne dort werden nicht'so schnell steigen wie in den westlichen Niedriglohn-Ländern Spanien., Portugal und Irland. Industriestandort Mitteleuropa hat auch logistische Vorteile. Von Bogner in München ist es nach Prag

164


nicht weit, für VW in Zwickau und Opel in Eisenach ist es näher zu

potentiellen tschechischen Zulieferern.

SPIEGEL: Was wird aus dem Standort Deutschland?

Berger: Die leidige Debatte um den Standort Deutschland wird überflüssig,

wenn wir die Strukturveränderung vorausschauend anpacken. Als

Systemkopf für industrielle Aktivitäten zählt der Standort Deutschland

dann zu den besten in der Welt.

(3)





:


: 2018-10-17; !; : 145 |


:

:

, .
==> ...

1819 - | 1624 -


© 2015-2024 lektsii.org - -

: 0.012 .