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Zwei Missverständnisse




Der Münchner Abendschnellzug hielt in Bruckbeuren. Zirka dreißig Personen stiegen aus und versanken, völlig überrascht, bis an die Knie in Neuschnee. Sie lachten. Aus dem Gepäckswagen wurden Schrankkoffer gekippt. Der Zug fuhr weiter. Dienstleute, Hotelchauffeure und Hausburschen übernahmen das Gepäck und schleppten es auf den Bahnhofplatz hinaus. Die Ankömmlinge stapften hinterher und kletterten vergnügt in die wartenden Autobusse und Pferdeschlitten.

Herr Johann Kesselhuth aus Berlin blickte besorgt zu einem ärmlich gekleideten älteren Mann hinüber, der einsam im tiefen Schnee stand und einen lädierten Spankorb trug.

Wollen Sie ins Grandhotel? fragte ein Chauffeur.

Zögernd stieg Herr Kesselhuth in den Autobus. Hupen und Peitschen erklang. Dann lag der Bahnhofplatz wieder leer.

Nur der arme Mann stand auf dem alten Fleck. Er blickte zum Himmel hinauf, lächelte kindlich den glitzernden Sternen zu, holte tief Atem, hob den Spankorb auf die linke Schulter und marschierte die Dorfstraße entlang. Es gab weder Fußsteig noch Fahrweg, es gab nichts als Schnee. Zunächst versuchte der arme Mann in den breiten glatten Reifenspuren der Autobusse zu laufen. Doch er rutschte aus. Dann steckte er den rechten Fuß in eine Schneewehe - vorsichtig, als steige er in ein womöglich zu heißes Bad - und stiefelte nun, zum Äußersten entschlossen, vorwärts. Hierbei pfiff er.

Die Straßenlaternen trugen hohe weiße Schneemützen. Die Gartenzäune waren zugeweht. Auf den verschneiten Dächern der niedrigen Gebirgshäuser lagen große Steine. Herr Schulze glaubte die Berge zu spüren, die ringsum unsichtbar in der Dunkelheit lagen.

Er pfiff übrigens Der Mai ist gekommen.

*

Der Autobus bremste und stand still. Etliche Hausdiener bugsierten die Koffer vom Verdeck. Ein Liftboy öffnete einen Türflügel und salutierte. Die späten Gäste betraten das Hotel. Onkel Polter und der Direktor verbeugten sich und sagten: Herzlich willkommen! Die Halle war von Neugierigen erfüllt. Sie warteten auf das Abendessen und auf den Sonderling und boten einen festlichen Anblick.

Ein sächsisches Ehepaar, Chemnitzer Wirkwaren, und eine rassige Dame aus Polen wurden, da sie ihre Zimmer vorausbestellt hatten, sofort vom Empfangschef zum Fahrstuhl geleitet. Herr Johann Kesselhuth und ein junger Mann mit einem schäbigen Koffer und einem traurigen Herbstmäntelchen blieben übrig. Kesselhuth wollte dem jungen Mann den Vortritt lassen.

Unter gar keinen Umständen, sagte der junge Mann. Ich habe Zeit.

Herr Kesselhuth dankte und wandte sich dann an den Portier. Ich möchte ein schönes sonniges Zimmer haben. Mit Bad und Balkon.

Der Direktor meinte, die Auswahl sei nicht mehr allzu groß. Onkel Polter studierte den Hotelplan und glich einem leberkranken Strategen.

Der Preis spielt keine Rolle, erklärte Herr Kesselhuth. Dann wurde er rot.

Der Portier überhörte die Bemerkung. Zimmer 31 ist noch frei. Es wird Ihnen bestimmt gefallen. Wollen Sie, bitte, das Anmeldeformular ausfüllen?

Herr Kesselhuth nahm den dargebotenen Tintenstift, stützte sich auf die Theke und notierte voller Sorgfalt seine Personalien.

Nun hefteten sich die Blicke aller übrigen endgültig auf den jungen Mann und prüften seinen trübseligen Mantel. Karl der Kühne hüstelte vor Aufregung.

Womit können wir Ihnen dienen? fragte der Direktor.

Der junge Mann zuckte die Achseln, lächelte unentschlossen und sagte: Tja, mit mir ist das so eine Sache. Ich heiße Hagedorn und habe den ersten Preis der Putzblank-Werke gewonnen. Hoffentlich wissen Sie Bescheid.

Der Direktor verbeugte sich erneut. Wir wissen Bescheid, sagte er beziehungsvoll. Herzlich willkommen unter unserm Dach! Es wird uns eine Ehre sein, Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.

Hagedorn stutzte. Er sah sich um und merkte, dass ihn die abendlich gekleideten Gäste neugierig anstarrten. Auch Herr Kesselhuth hatte den Kopf gehoben.

Welches Zimmer war doch gleich für Herrn Hagedorn vorgesehen? fragte Kühne.

Ich denke, wir geben ihm das Appartement 7, sagte der Portier.

Der Direktor nickte. Der Hausdiener ergriff Hagedorns Koffer und fragte: Wo ist das große Gepäck des Herrn?

Nirgends, erwiderte der junge Mann. Was es so alles gibt!

Der Portier und der Direktor lächelten lieblich. Sie werden sich jetzt gewiss vom Reisestaub reinigen wollen, sagte Karl der Kühne. Dürfen wir Sie nachher zum Abendessen erwarten? Es gibt Nudeln mit Rindfleisch.

Das allein wäre kein Hinderungsgrund, sagte der junge Mann. Aber ich bin satt.

Herr Kesselhuth sah wieder vom Anmeldeformular hoch und machte große Augen. Der Hausdiener nahm den Schlüssel und ging mit dem Koffer zum Lift.

Aber wir sehen Sie doch nachher noch? fragte der Direktor werbend.

Natürlich, sagte Hagedorn. Dann suchte er eine Ansichtskarte aus, ließ sich eine Briefmarke geben, bezahlte beides, obwohl der Portier anzuschreiben versprach, und wollte gehen.

Ehe ich's vergesse, sagte Onkel Folter hastig. Interessieren Sie sich für Briefmarken? Er holte das Kuvert heraus, in dem er die ausländischen Marken aufbewahrt hatte, und breitete die bunte Pracht vor dem jungen Mann aus.

Hagedorn betrachtete das Gesicht des alten Portiers. Dann unterzog er höflich die Briefmarken einer flüchtigen Musterung. Er verstand nicht das geringste davon. Ich habe keine Kinder, sagte er. Aber vielleicht kriegt man welche.

Darf ich also weitersammeln? fragte Onkel Folter.

Hagedorn steckte die Marken ein. Tun Sie das, meinte er. Es ist ja wohl ungefährlich. Dann ging er, vom strahlenden Direktor geführt, zum Fahrstuhl. Die Stammgäste, an deren Tischen er vorbeimusste, glotzten ihn an. Er steckte die Hände in die Manteltaschen und zog ein trotziges Gesicht.

Herr Johann Kesselhuth legte, völlig geistesabwesend, sein ausgefülltes Formular beiseite. Wieso sammeln Sie für diesen Herrn Briefmarken? fragte er. Und warum gibt es seinetwegen Nudeln mit Rindfleisch?

Onkel Polter gab ihm den Schlüssel und meinte: Es gibt komische Menschen. Dieser junge Mann zum Beispiel ist ein Millionär. Würden Sie das für möglich halten? Es stimmt trotzdem. Er darf nur nicht wissen, dass wir es wissen. Denn er will als armer Mann auftreten. Er hofft, schlechte Erfahrungen zu machen. Das wird ihm aber bei uns nicht gelingen. Haha! Wir wurden telephonisch auf ihn vorbereitet.

Ein reizender Mensch, sagte der Direktor, der vom Lift zurückgekehrt war. Außerordentlich sympathisch. Und er spielt seine Rolle gar nicht ungeschickt. Ich bin gespannt, was er zu den siamesischen Katzen sagen wird!

Herr Kesselhuth klammerte sich an der Theke fest. Siamesische Katzen? murmelte er.

Der Portier nickte stolz. Drei Stück. Auch das wurde uns gestern per Telephon angeraten. Genau wie das Briefmarkensammeln.

Herr Kesselhuth starrte blass zur Hoteltür hinüber. Sollte er ins Freie stürzen und den zweiten armen Mann, der im Anmarsch war, zur Umkehr bewegen?

Ein Schwärm Gäste kam angerückt. Ein bezaubernder Bengel, rief Frau Casparius, eine muntere Bremerin. Frau von Mallebré warf ihr einen Blick zu. Die Dame aus Bremen erwiderte ihn.

Wie heißt er denn nun eigentlich? fragte Herr Lenz, ein dicker Kölner Kunsthändler.

Doktor Fritz Hagedorn, sagte Johann Kesselhuth automatisch.

Daraufhin schwiegen sie alle.

Sie kennen ihn? rief Direktor Kühne begeistert. Das ist ja großartig! Erzählen Sie mehr von ihm!

Nein. Ich kenne ihn nicht, sagte Herr Johann Kesselhuth.

Die anderen lachten. Frau Casparius drohte schelmisch mit dem Finger.

Johann Kesselhuth wusste nicht aus noch ein. Er ergriff seinen Zimmerschlüssel und wollte fliehen. Man versperrte ihm den Weg. Hundert Fragen schwirrten durch die Luft. Man stellte sich vor und schüttelte ihm die Hand. Er nannte in einem fort seinen Namen.

Lieber Herr Kesselhuth, sagte schließlich der dicke Herr Lenz. Es ist gar nicht nett von Ihnen, dass Sie uns so zappeln lassen.

Dann erklang der Gong. Die Gruppe zerstreute sich. Denn man hatte Hunger.

Kesselhuth setzte sich gebrochen an einen Tisch in der Halle, hatte Falten der Qual auf der Stirn und wusste keinen Ausweg. Eins stand fest. Fräulein Hilde und die dämliche Kunkel hatten gestern abend telephoniert. Siamesische Katzen in Hagedorns Zimmer! Das konnte reizend werden.

 

*

Der arme Mann, der, Volkslieder pfeifend, seinen Spankorb durch den Schnee schleppte, hatte kalte, nasse Füße. Er blieb stehen und setzte sich ächzend auf den Korb. Drüben auf einem Hügel lag ein großes schwarzes Gebäude mit zahllosen erleuchteten Fenstern. Das wird das Grandhotel sein, dachte er. Ich sollte lieber in einen kleinen verräucherten Gasthof ziehen, statt in diesen idiotischen Steinbaukasten dort oben. Dann aber fiel ihm ein, dass er ja die Menschen kennen lernen wollte. So ein Blödsinn! sagte er ganz laut. Ich kenne die Brüder doch längst. Dann bückte er sich und machte einen Schneeball. Er hielt ihn lange in beiden Händen.

Sollte er ihn nach einer Laterne werfen? Wie vor einigen Tagen die beiden Knirpse in der Lietzenburger Straße? Oder wie er selber, vor vierzig Jahren? Herr Schulze fror an den Fingern. Er ließ den kleinen weißen Schneeball unbenutzt fallen.,Ich träfe ja doch nicht mehr', dachte er melancholisch.

Verspätete Skifahrer kamen vorüber. Sie strebten hügelwärts. Zum Grandhotel. Er hörte sie lachen und stand auf. Die rindsledernen Stiefel drückten. Der Spankorb war schwer. Der violette Anzug aus der Fruchtstraße kniff unter den Armen. Ich könnte mir selber eine runterhauen, sagte er gereizt und marschierte weiter.

Als er in das Hotel trat, standen die Skifahrer bei dem Portier, kauften Zeitungen und betrachteten ihn befremdet. Aus einem Stuhl erhob sich ein elegant gekleideter Herr. Ach nein. Das war ja Johann!

Kesselhuth näherte sich bedrückt. Flehend sah er zu dem armen Mann hin. Aber die Blicke prallten ab. Herr Schulze setzte den Spankorb nieder, drehte dem Hotel den Rücken und studierte ein Plakat, auf dem zu lesen war, dass am übernächsten Abend in sämtlichen Räumen des Grandhotels ein Lumpenball stattfinden werde. Da brauch ich mich wenigstens nicht erst umzuziehen, dachte er voller Genugtuung.

Die Skifahrer verschwanden polternd und stolpernd im Fahrstuhl. Der Portier musterte die ihm dargebotene Kehrseite des armen Mannes und sagte:

Hausieren verboten! Dann wandte er sich an Kesselhuth und fragte nach dessen Wünschen.

Kesselhuth sagte: Ich muss ab morgen skifahren. Ich weiß nicht, wie man das macht. Glauben Sie, dass ich's noch lernen werde?

Aber natürlich! meinte Onkel Polter. Das haben hier noch ganz andere gelernt. Sie nehmen am besten beim Graswander Toni Privatstunden. Da kann er sich Ihnen mehr widmen. Außerdem ist es angenehmer, als wenn Ihnen, im großen Kursus, bei dem ewigen Hinschlagen dauernd dreißig Leute zuschauen.

Johann Kesselhuth wurde nachdenklich. Wer schlägt hin? fragte er zögernd.

Sie! stellte der Portier fest. Der Länge nach.

Der Gast kniff die Augen klein. Ist das sehr gefährlich?

Kaum, meinte der Portier. Außerdem haben wir ganz hervorragende Ärzte in Bruckbeuren! Der Sanitätsrat Doktor Zwiesel zum Beispiel ist wegen seiner Heilungen komplizierter Knochenbrüche geradezu weltberühmt. Die Beine, die in seiner Klinik waren, schauen hinterher viel schöner aus als vorher!

Ich bin nicht eitel, sagte der Gast.

Hierüber musste der arme Mann, der inzwischen sämtliche Anschläge studiert hatte, laut lachen.

Dem Portier, der den Kerl vergessen hatte, trat nunmehr, Schritt für Schritt, die Galle ins Blut. Wir kaufen nichts!

Sie sollen gar nichts kaufen, bemerkte der arme Mann.

Was wollen Sie denn dann hier?

Der aufdringliche Mensch trat näher und sagte sonnig: Wohnen!

Der Portier lächelte mitleidig: Das dürfte Ihnen um ein paar Mark zu teuer sein. Gehen Sie ins Dorf zurück, guter Mann! Dort gibt es einfache Gasthäuser mit billigen Touristenlagern.

Vielen Dank, entgegnete der andere. Ich bin kein Tourist. Sehe ich so aus? Übrigens ist das Zimmer, das ich bei Ihnen bewohnen werde, noch viel billiger.

Der Portier blickte Herrn Kesselhuth an, schüttelte, dessen Einverständnis voraussetzend, den Kopf und sagte, gewissermaßen abschließend: Guten Abend!

Na endlich! meinte der arme Mann. Es wurde langsam Zeit, mich zu begrüßen. Ich hätte in diesem Hotel bessere Manieren erwartet.

Onkel Polter wurde dunkelrot und zischte: Hinaus! Aber sofort! Sonst lasse ich Sie expedieren!

Jetzt wird mir's zu bunt! erklärte der arme Mann entschieden. Ich heiße Schulze und bin der zweite Gewinner des Preisausschreibens. Ich soll zehn Tage im Grandhotel Bruckbeuren kostenlos verpflegt und beherbergt werden. Hier sind die Ausweispapiere!

Onkel Polter begann, ohne es selber zu merken, leichte Verbeugungen zu machen. Er verstand die Welt nicht mehr. Anschließend kam er hinter seiner Ladentafel hervor, stieg von seinem Podest herab, wurde auffallend klein, murmelte: Einen Augenblick, bitte! und trabte zum Büro, um den Direktor zu holen. Einfach tierisch! würde Kühne sagen.

Schulze und Kesselhuth waren, vorübergehend, allein. Herr Geheimrat, meinte Johann verzweifelt, wollen wir nicht lieber wieder abreisen?

Schulze war offenbar taub.

Es ist etwas Schreckliches geschehen, flüsterte Johann. Stellen Sie sich vor: als ich vorhin ankam...

Noch ein Wort, sagte der Geheimrat, und ich erschlage Sie mit der bloßen Hand! Es klang absolut überzeugend.

Auf die Gefahr hin... begann Johann.

Doch da öffnete sich die Fahrstuhltür, und Herr Hagedorn trat heraus. Er steuerte auf die Portierloge zu und hielt eine Postkarte in der Hand.

Fort mit Ihnen! flüsterte Schulze. Herr Kesselhuth gehorchte und setzte sich, um in der Nähe zu bleiben, an einen der Tische, die in der Halle standen. Er sah schwarz. Gleich würden der Millionär, den man hier für einen armen Teufel hielt, und der arme Mann, den man hier für einen Millionär hielt, aufeinander treffen! Die Missverständnisse zogen sich über dem Hotel wie ein Gewitter zusammen!

Der junge Mann bemerkte Herrn Schulze und machte eine zuvorkommende Verbeugung. Der andere erwiderte den stummen Gruß. Hagedorn sah sich suchend um. Entschuldigen Sie, sagte er dann. Ich bin eben erst angekommen. Wissen Sie vielleicht, wo der Hotelbriefkasten ist?

Auch ich bin eben angekommen, erwiderte der arme Mann. Und der Briefkasten befindet sich hinter der zweiten Glastüre links.

Tatsächlich! rief Hagedorn, ging hinaus, warf die Karte an seine Mutter ein, kam zufrieden zurück und blieb neben dem ändern stehen. Sie haben noch kein Zimmer?

Nein, entgegnete der andere. Man scheint im unklaren, ob man es überhaupt wagen kann, mir unter diesem bescheidenen Dach eine Unterkunft anzubieten.

Hagedorn lächelte. Hier ist alles möglich. Wir sind, glaube ich, in ein ausgesprochen komisches Hotel geraten.

Falls Sie den Begriff Komik sehr weit fassen, haben Sie recht.

Der junge Mann betrachtete sein Gegenüber lange. Dann sagte er: Seien Sie mir nicht allzu böse, mein Herr! Aber ich möchte für mein Leben gern raten, wie Sie heißen.

Der andere trat einen großen Schritt zurück.

Wenn ich beim erstenmal daneben rate, geb ich's auf, erklärte der junge Mann. Ich habe aber eine so ulkige Vermutung. Und weil der Ältere nicht antwortete, redete er weiter. Sie heißen Schulze! Stimmt's?

Der andere war ehrlich betroffen. Es stimmt, sagte er. Ich heiße Schulze. Aber woher wissen Sie das? Wie?

Ich weiß noch mehr, behauptete der junge Mann. Sie haben den zweiten Preis der Putzblank-Werke gewonnen. Sehen Sie! Ich gehöre nämlich zu den kleinen Propheten! Und jetzt müssen Sie raten, wie ich heiße.

Schulze dachte nach. Dann erhellte sich sein Gesicht. Er strahlte förmlich und rief: Ich hab's! Sie heißen Hagedorn!

Jawohl ja, sagte der Jüngere. Von uns kann man lernen.

Sie lachten und schüttelten einander die Hand.

Schulze setzte sich auf seinen Spankorb und bot auch Hagedorn ein Plätzchen an. So saßen sie, im trauten Verein, und gerieten umgehend in ein profundes Gespräch über Reklame. Und zwar über die Wirkungsgrenze origineller Formulierungen. Es war, als kennten sie einander bereits seit Jahren. Herr Johann Kesselhuth, der sich eine Zeitung vors Gesicht hielt, um an dem Blatt vorbeischauen zu können, staunte. Dann fing er an, einen Plan zu schmieden. Und schließlich begab er sich mit dem Lift ins zweite Stockwerk, um zunächst sein Zimmer, mit Bad und Balkon, kennen zu lernen und die Koffer auszupacken.

Damit die neuen Anzüge nicht knitterten.

*

Als Kühne und Folter, nach eingehender Beratung, die Halle durchquerten, saßen die beiden Preisträger noch immer auf dem durchnässten, altersschwachen Spankorb und unterhielten sich voller Feuer. Der Portier erstarrte zur Salzsäule und hielt den Direktor am Smoking fest. Da! stieß er hervor. Sehen Sie sich das an! Unser verkappter Millionär mit Herrn Schulze als Denkmal! Als Goethe und Schiller!

Einfach tierisch! behauptete Karl der Kühne. Das hat uns noch gefehlt! Ich transportiere den Schulze in die leerstehende Mädchenkammer. Und Sie deuten dem kleinen Millionär an, wie peinlich es uns ist, dass er, ausgerechnet in unserem Hotel einen richtiggehend armen Mann kennen lernen musste. Dass wir den Schulze nicht einfach hinausschmeißen können, wird er einsehen. Immerhin, vielleicht geht der Bursche morgen oder übermorgen freiwillig. Hoffentlich! Er vergrault uns sonst die ändern Stammgäste!

Der Herr Doktor Hagedorn ist noch ein Kind, sagte der Portier nicht ohne Strenge. Das Fräulein, das aus Berlin anrief, hat recht gehabt. Bringen Sie schnell den Schulze außer Sehweite! Bevor die Gäste aus den Speisesälen kommen. Sie gingen weiter.

Willkommen! sagte Direktor Kühne zu Herrn Schulze. Darf ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen?

Die beiden Preisträger erhoben sich. Schulze ergriff den Spankorb.

Hagedorn sah Schulze freundlich an. Lieber Herr Schulze, ich sehe Sie doch noch?

Der Direktor griff ein. Herr Schulze wird von der langen Reise müde sein, behauptete er.

Da irren Sie sich aber ganz gewaltig, meinte Schulze. Und zu Hagedorn sagte er: Lieber Hagedorn, wir sehen uns noch. Dann folgte er dem Direktor zum Lift.

Der Portier legte sehr viel väterliche Güte in seinen Blick und sagte zu dem jungen Mann: Entschuldigen Sie, Herr Doktor! Es tut uns leid, dass ausgerechnet dieser Gast der erste war, den Sie kennen lernten.

Hagedorn verstand nicht ganz. Mir tut es gar nicht leid!

Herr Schulze passt, wenn ich so sagen darf, nicht in diese Umgebung.

Ich auch nicht, erklärte der junge Mann.

Onkel Folter schmunzelte: Ich weiß, ich weiß.

Noch etwas, sagte Hagedorn. Gibt es hier in allen Zimmern Tiere? Er legte seine Hände auf die Theke. Sie waren zerkratzt und rotfleckig.

Tiere? Der Portier starrte versteinert auf die beiden Handrücken. In unserm Hotel gibt es Tiere?

Sie haben mich offenbar missverstanden, erwiderte Hagedorn. Ich rede von den Katzen.

Onkel Folter atmete auf. Haben wir Ihren Geschmack getroffen?

Doch, doch. Die kleinen Biester sind sehr niedlich. Sie kratzen zwar. Aber es scheint ihnen Spaß zu machen. Und das ist die Hauptsache. Ich meine nur: Haben auch die anderen Gäste je drei Katzen im Zimmer?

Das ist ganz verschieden, meinte der Portier und suchte nach einem anderen Thema. Er fand eines. Morgen früh kommt der Masseur auf Ihr Zimmer.

Was will er denn dort? fragte der junge Mann.

Massieren.

Wen?

Sie, Herr Doktor.

Sehr aufmerksam von dem Mann, sagte Hagedorn. Aber ich habe kein Geld. Grüßen Sie ihn schön.

Der Portier schien gekränkt. Herr Doktor!

Massiert werde ich auch gratis? fragte Hagedorn. Also gut. Wenn es durchaus sein muss! Was verspricht man sich davon?

Der kleine Millionär verstellte sich vorbildlich. Massage hält die Muskulatur frisch, erläuterte Folter. Außerdem wird die Durchblutung der Haut enorm gefördert.

Bitte, sagte der junge Mann. Wenn es keine schlimmen Folgen hat, so soll es mir recht sein. Haben Sie wieder Briefmarken?

Noch nicht, sagte der Portier bedauernd. Aber morgen bestimmt.

Ich verlasse mich darauf, entgegnete Hagedorn ernst und ging in die Halle, um in Ruhe lächeln zu können.

 

*

Im vierten Stock stiegen Schulze und Karl der Kühne aus. Denn die Liftanlage reichte nur bis hierher.

Sie kletterten zu Fuß ins fünfte Stockwerk und wanderten dann einen langen, schmalen Korridor entlang. An dessen äußerstem Ende sperrte der Direktor eine Tür auf, drehte das Licht an und sagte: Das Hotel ist nämlich vollständig besetzt.

Drum, meinte Schulze und blickte, fürs erste fassungslos, in das aus Bett, Tisch, Stuhl, Waschtisch und schiefen Wänden bestehende Kämmerchen. Kleinere Zimmer haben Sie nicht?

Leider nein, sagte der Direktor.

Schulze setzte den Spankorb nieder. Schön kalt ist es hier!

Die Zentralheizung geht nur bis zum vierten Stock. Und für einen Ofen ist kein Platz.

Das glaube ich gern, sagte der arme Mann. Glücklicherweise hat mir der Arzt streng verboten, in geheizten Räumen zu schlafen. Ich danke Ihnen für Ihre ahnungsvolle Rücksichtsnahme.

Oh, bitte sehr, erwiderte Kühne und biß sich auf die Unterlippe. Man tut, was man kann.

Die übrige Zeit werde ich mich nun freilich völlig in den Gesellschaftsräumen aufhalten müssen, meinte Herr Schulze. Denn zum Erfrieren bin ich natürlich nicht hergekommen.

Karl der Kühne sagte: Sobald ein heizbares Zimmer frei wird, quartieren wir Sie um!

Es hat keine Eile, meinte der arme Mann versöhnlich. Ich liebe schiefe Wände über alles. Die Macht der Gewohnheit, verstehen Sie?

Ich verstehe vollkommen, antwortete der Direktor. Ich bin glücklich, Ihren Geschmack getroffen zu haben.

Wahrhaftig, sagte Schulze. Das ist Ihnen gelungen. Auf Wiedersehen! Er öffnete die Tür. Während der Direktor über die Schwelle schritt, überlegte sich Schulze, ob er ihm mit einem wohlgezielten Tritt nachhelfen sollte.

Er beherrschte sich aber, schloß die Tür, öffnete das Dachfenster und sah zum Himmel hinauf. Große Schneeflocken sanken in die kleine Kammer und setzten sich behutsam auf die Bettdecke.

Der Tritt wäre verfrüht, sagte Geheimrat Tobler. Der Tritt kommt in die Sparbüchse.

 

Das siebente Kapitel

Siamesische Katzen

Dieser Abend hatte es in sich. Das erste Missverständnis sollte nicht das letzte bleiben. (Echte Missverständnisse vervielfältigen sich durch Zellteilung. Der Kern des Irrtums spaltet sich und neue Missverständnisse entstehen.)

Während Kesselhuth den Smoking anzog und Schulze, dicht unterm Dach, den Spankorb auskramte, saß Hagedorn, im Glänze seines blauen Anzugs, in der Halle, rauchte eine der Zigaretten, die ihm Franke, der Untermieter, auf die Reise mitgegeben hatte, und zog die Stirn kraus. Ihm war unbehaglich zumute. Hätte man ihn schief angesehen, wäre ihm wohler gewesen. Schlechte Behandlung war er gewöhnt. Dagegen wusste er sich zu wehren. Aber so?

Er glich einem Igel, den niemand reizen will. Er war nervös. Weswegen benahmen sich die Menschen mit einem Male derartig naturwidrig? Wenn plötzlich die Tische und Stühle in die Luft emporgeschwebt wären, mitsamt dem alten Portier, Hagedorn hätte nicht überraschter sein können. Er dachte:,Hoffentlich kommt dieser olle Schulze bald wieder. Bei dem weiß man doch, woran man ist!' Zunächst kamen aber andere Gäste. Denn das Abendessen näherte sich seinem Ende.

Frau Casparius ließ die Nachspeise unberührt und segelte hastig durch den großen Speisesaal.

Eine widerliche Person, sagte die Mallebré.

Baron Keller blickte vom Kompotteller hoch, verschluckte einen Kirschkern und machte Augen, als versuche er in sein Inneres zu blicken. Inwiefern? fragte er dann.

Wissen Sie, warum die Casparius so rasch gegessen hat?

Vielleicht hat sie Hunger gehabt, meinte er nachsichtig.

Frau von Mallebré lachte böse. Besonders scharfsichtig sind Sie nicht.

Das weiß ich, antwortete der Baron.

Sie will sich den kleinen Millionär kapern, sagte die Mallebré.

Wahrhaftig? fragte Keller. Bloß weil er schlecht angezogen ist?

Sie wird es romantisch finden.

Romantisch nennt man das? fragte er. Dann muss ich Ihnen allerdings beipflichten: Frau Casparius ist wirklich eine widerliche Person. Kurz darauf lachte er.

Was gibt's? fragte die Mallebré. Mir fällt trotz meines notorischen Mangels an Scharfsinn auf, dass auch Sie besonders rasch essen. Ich habe Hunger, erklärte sie ungehalten. Ich weiß sogar worauf, sagte er.

*

Frau Casparius, die fesche Blondine aus Bremen, hatte ihr Ziel erreicht. Sie saß neben Hagedorn am Tisch. Onkel Folter sah manchmal hinüber und glich einem Vater, der seinen Segen kaum noch zurückhalten kann.

Hagedorn schwieg. Frau Casparius beschrieb unterdessen die Zigarrenfabrik ihres Mannes. Sie erwähnte, der Vollständigkeit halber, dass Herr Casparius in Bremen geblieben sei, um sich dem Tabak und der Beaufsichtigung der beiden Kinder zu widmen.

Darf ich auch einmal etwas sagen, gnädige Frau? fragte der junge Mann bescheiden.

Bitte sehr?

Haben Sie siamesische Katzen im Zimmer?

Sie sah ihn besorgt an.

Oder andere Tiere? fragte er weiter.

Sie lachte. Das wollen wir nicht hoffen!

Ich meine Hunde oder Seelöwen. Oder Meerschweinchen. Oder Schmetterlinge.

Nein, erwiderte sie. Bedaure, Herr Doktor.

In meinem Zimmer bin ich das einzige lebende Wesen. Wohnen Sie auch in der dritten Etage?

Nein, sagte er. Ich möchte nur wissen, weswegen sich in meinem Zimmer drei siamesische Katzen aufhalten.

Kann man die Tierchen einmal sehen? fragte sie. Ich liebe Katzen über alles. Sie sind so zärtlich und bleiben einem doch fremd. Es ist ein aufregend unverbindliches Verhältnis. Finden Sie nicht auch?

Ich habe wenig Erfahrung mit Katzen, sagte er unvorsichtigerweise.

Sie machte veilchenblaue Augen und erklärte mit dichtverschleierter Stimme: Dann hüten Sie sich, lieber Doktor. Ich bin eine Katze.

Glücklicherweise setzten sich Frau von Mallebré und Baron Keller an den Nebentisch. Und wenige Minuten später war der Tisch, an dem Hagedorn saß, rings von neugierigen Gästen und lauten Stimmen umgeben.

Frau Casparius beugte sich vor. Schrecklich, dieser Lärm! Kommen Sie! Zeigen Sie mir Ihre drei kleinen Katzen!

Ihm war das Tempo neu. Ich glaube, sie schlafen schon, sagte er.

Wir werden sie nicht aufwecken, sagte sie. Wir werden ganz, ganz leise sein. Ich verspreche es Ihnen.

Da kam der Kellner und überreichte ihm eine Karte. Auf dieser Karte stand: Der Unterzeichnete, der zum Toblerkonzern Beziehungen hat, würde Herrn Doktor Hagedorn gern auf einige Minuten in der Bar sprechen. Kesselhuth.

Der junge Mann stand auf. Seien Sie mir nicht böse, gnädige Frau, sagte er. Mich will jemand sprechen, der mir von größtem Nutzen sein kann. Das ist ein seltsames Hotel! Nach diesen Worten und einer Verbeugung ging er.

Frau Casparius versah ihr schönes Gesicht mit einem diffusen Dauerlächeln.

Frau von Mallebre ließ sich nichts vormachen. Sie kniff vor Genugtuung in die Sessellehne. Da sie sich aber vergriff und den Ärmel des Barons erwischte, stöhnte Keller auf und sagte: Muß das sein, gnädige Frau?

*

Herr Kesselhuth erinnerte zunächst daran, dass Hagedorn und er gemeinsam im Grand Hotel eingetroffen wären, und gratulierte zu dem ersten Preis der Putzblank-Werke. Dann lud er den jungen Mann zu einem Genever ein. Sie setzten sich in eine Ecke.

Auf den Hockern vor der Theke saßen die Geschwister Marek mit Sullivan, dem indischen Kolonialoffizier, tranken Whisky und sprachen englisch.

Auf einem Sofa von äußerst geringem Fassungsvermögen kuschelte sich das Chemnitzer Ehepaar. Die übrigen Barbesucher hatten das Vergnügen, dem zärtlichen Zwiegespräch zuhören zu dürfen. Die sächsische Mundart eignet sich bekanntlich wie keine zweite zum Austausch lieblicher Gefühle. Sogar Jonny, der Barmixer, verlor die Selbstbeherrschung. Er grinste übers ganze Gesicht. Schließlich bückte er sich und hackte, ohne Sinn und Verstand, im Eiskasten herum. Denn es geht nicht an, dass Hotelangestellte die Gäste auslachen.

Wenn man unsere deutsche Sprache mit einem Gebäude vergleichen wollte, meinte Hagedorn, so könnte man sagen, in Sachsen habe es durchs Dach geregnet.

Kesselhuth lächelte, bestellte noch zwei Genever und sagte: Ich will mich deutlich ausdrücken, Herr Doktor. Ich will Sie fragen, ob ich Ihnen behilflich sein kann. Entschuldigen Sie, bitte.

Ich bin nicht zimperlich, antwortete der junge Mann. Es wäre großartig, wenn Sie mir helfen würden. Ich kann's gebrauchen. Er trank einen Schluck. Das Zeug schmeckt gut. Ja, ich bin also seit Jahren stellungslos. Der Direktor der Putzblank-Werke hat mir, als ich mich nach einem Posten erkundigte, gute Erholung in Bruckbeuren

gewünscht. Wenn ich bloß wüsste, von welcher Anstrengung ich mich erholen soll! Arbeiten will ich, dass die Schwarte knackt! Und ein bisschen Geld verdienen! Statt dessen helfe ich meiner Mutter ihre kleine Rente auffressen. Es ist scheußlich.

Kesselhuth blickte ihn freundlich an. Der Toblerkonzern hat ja auch noch einige andere Fabriken außer den Putzblank-Werken, meinte er. Und nicht nur Fabriken. Sie sind Reklamefachmann?

Jawohl! sagte Hagedorn. Und keiner von den schlechtesten, wenn ich diese kühne Behauptung aufstellen darf.

Herr Kesselhuth nickte. Sie dürfen!

Was halten Sie von folgendem? fragte der junge Mann eifrig. Ich könnte meiner Mutter noch heute abend eine zweite Karte schreiben. Dass ich unverletzt angekommen bin, habe ich ihr nämlich schon mitgeteilt. Sie könnte meine Arbeiten in einen kleinen Karton packen; und in spätestens drei Tagen sind Hagedorns Gesammelte Werke in Bruckbeuren. Verstehen Sie etwas von Reklame, Herr Kesselhuth?

Johann schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf. Ich möchte mir die Arbeiten trotzdem ansehen, und dann gebe ich, er verbesserte sich hastig, dann schicke ich sie mit ein paar Zeilen an Geheimrat Tobler. Das wird das beste sein. Hagedorn setzte sich kerzengerade und wurde blaß. An wen wollen Sie den Kram schicken? fragte er.

An Geheimrat Tobler, erklärte Kesselhuth. Ich kenne ihn seit zwanzig Jahren!

Gut?

Ich bin täglich mit ihm zusammen.

Der junge Mann vergaß vorübergehend Atem zu holen. Das ist ein Tag, sagte er dann, um den Verstand zu verlieren. Sehr geehrter Herr, machen Sie, bitte, keine Witze mit mir. Jetzt wird's ernst. Geheimrat Tobler liest Ihre Briefe?

Er hält große Stücke auf mich, erklärte Herr Kesselhuth stolz.

Wenn er sich die Sachen ansieht, gefallen sie ihm bestimmt, sagte der junge Mann. In dieser Beziehung bin ich größenwahnsinnig. Das kostet nichts und erhält bei Laune. Er stand auf. Darf ich meiner Mutter rasch eine Eilkarte schicken? Sehe ich Sie dann noch?

Ich würde mich sehr freuen, entgegnete Kesselhuth. Grüßen Sie Ihre Frau Mutter unbekannterweise von mir.

Das ist eine patente Frau, sagte Hagedorn und ging. An der Tür kehrte er noch einmal um. Eine bescheidene Frage, Herr Kesselhuth. Haben Sie Katzen im Zimmer?

Ich habe nicht darauf geachtet, meinte der andere. Aber ich glaube kaum.

Als Hagedorn die Halle durchquerte, lief er Frau Casparius in die Arme. Sie war in Nerz gehüllt und trug hohe, pelzbesetzte Überschuhe. Neben ihr schritt, im Gehpelz, der Kunsthändler Lenz. Kommen Sie mit? fragte die Bremerin. Wir gehen ins Esplanade. Zwecks Reunion. Darf ich bekannt machen? Herr Doktor Hagedorn -Herr Lenz.

Die Herren begrüßten sich.

Kommen Sie mit, Herr Doktor! sagte der dicke Lenz. Unsere schöne Frau tanzt leidenschaftlich gern. Übrigens auch gern leidenschaftlich. Und ich eigne mich figürlich nicht besonders zum Anschmiegen. Ich bin konvex.

Entschuldigen Sie mich, sagte der junge Mann. Ich muss einen Brief schreiben.

Post kann man während des ganzen Tages erledigen, meinte Frau Casparius. Tanzen kann man nur abends.

Der Brief muss noch heute fort, sagte Hagedorn bedauernd. Leidige Geschäfte! Dann entfernte er sich eiligst.

Frau von Mallebré, die ihn kommen sah, gab dem Baron einen Wink. Keller erhob sich, vertrat dem jungen Mann lächelnd den Weg, stellte sich vor und fragte: Darf ich Sie mit einer charmanten Frau bekannt machen?

Hagedorn erwiderte ärgerlich: Ich bitte darum, und ließ die üblichen Zeremonien über sich ergehen. Keller setzte sich. Der junge Mann blieb ungeduldig stehen.

Ich fürchte, wir halten Sie auf, sagte Frau von Mallebré. Sie sprach, auf Wirkung bedacht, eine Terze tiefer als sonst. Keller lächelte. Er kannte Frau von Mallebrés akustische Taktik.

Es tut mir leid, Ihnen recht geben zu müssen, meinte Hagedorn. Post! Leidige Geschäfte!

Die Mallebre schüttelte missbilligend die schwarzen Wasserwellen. Sie sind doch hier, um sich zu erholen.

Das ist ein Irrtum, antwortete er. Ich bin gekommen, weil ich, infolge eines gewonnenen Preisausschreibens, hergeschickt wurde.

Nehmen Sie Platz! sagte die Mallebré. Die Gäste an den Nebentischen blickten gespannt herüber.

Sehr freundlich, meinte Hagedorn. Aber ich muss auf mein Zimmer. Guten Abend. Er ging.

Baron Keller lachte. Sie hätten nicht so rasch zu essen brauchen, gnä' Frau.

Frau von Mallebré betrachtete ihr Gesicht im Spiegel der Puderdose, tupfte Puder auf ihre adlige Nase und sagte: Wir wollen's abwarten.

Auf der Treppe traf Hagedorn Herrn Schulze. Ich friere wie ein Schneider, sagte Schulze. Ist Ihr Zimmer auch ungeheizt?

Aber nein, meinte Hagedorn. Wollen Sie sich bei mir einmal umschauen? Ich muss eine Karte nach Hause schreiben. Ich habe eben ein unglaubliches Erlebnis gehabt. Raten Sie! Nein, darauf kommt keiner. Also denken Sie an: ich habe eben mit einem Herrn gesprochen, der den ollen Tobler persönlich kennt! Der jeden Tag mit ihm zusammen ist! Was sagen Sie dazu?

Man sollte es nicht für möglich halten, behauptete Schulze und folgte dem jungen Mann ins erste Stockwerk.

Hagedorn schaltete das elektrische Licht ein. Schulze glaubte zu träumen. Er erblickte einen Salon, ein Schlafzimmer und ein gekacheltes Bad.,Was soll denn das heißen?' dachte er.,So viel besser ist ja nun seine Lösung des Preisausschreibens nicht, dass man mir die Bruchbude unterm Dach angedreht hat und ihm so 'ne Zimmerflucht.'

Trinken Sie einen Schnaps? fragte der junge Mann. Er schenkte französischen Kognak ein. Sie stießen an und sagten Prost!

Da klopfte es.

Hagedorn rief: Herein!

Es erschien das Zimmermädchen. Ich wollte nur fragen, ob der Herr Doktor schon schlafen gehen. Es ist wegen des Ziegelsteins.

Hagedorn runzelte die Stirn. Weswegen?

Wegen des Ziegelsteins, wiederholte das Mädchen. Ich möchte ihn nicht zu früh ins Bett tun, damit er nicht auskühlt.

Verstehen Sie das? fragte Hagedorn.

Noch nicht ganz, erwiderte Schulze. Und zu dem Mädchen sagte er: Der Herr Doktor geht noch nicht schlafen. Bringen Sie Ihren Ziegelstein später!

Das Mädchen ging.

Hagedorn sank verstört in einen Klubsessel. Haben Sie auch ein Zimmermädchen mit geheizten Ziegelsteinen?

Keineswegs, meinte Schulze. Französischen Kognak übrigens auch nicht. Er grübelte.

Auch keine siamesischen Katzen? fragte der andere und zeigte auf ein Körbchen.

Schulze griff sich an die Stirn. Dann ging er in Kniebeuge und betrachtete die drei kleinen schlafenden Tiere. Dabei kippte er um und setzte sich auf den Perserteppich. Ein Kätzchen erwachte, reckte sich, stieg aus dem Korb und nahm auf Schulzes violetter Hose Platz.

Hagedorn schrieb die Karte an seine Mutter.

Schulze legte sich auf den Bauch und spielte mit der kleinen Katze. Dann wurde die zweite wach, schaute anfangs faul über den Rand des Korbes, kam dann aber nach längerer Überlegung ebenfalls auf den Teppich spaziert. Schulze hatte alle Hände voll zu tun.

Hagedorn sah flüchtig von seiner Karte hoch, lächelte und sagte: Vorsicht! Lassen Sie sich nicht kratzen!

Keine Sorge, erklärte der Mann auf dem Teppich. Ich verstehe mit so etwas umzugehen.

Die zwei Katzen spielten auf dem älteren Herrn Haschen. Wenn er sie festhielt, schnurrten sie vor Wonne.,Ich fühle mich wie zu Hause', dachte er. Und nachdem er das gedacht hatte, ging ihm ein großes Licht auf.

Als Hagedorn mit der Eilkarte zu Rande war, legte Schulze die zwei Katzen zu der dritten in den Korb zurück. Sie sahen ihn aus ihren schwarzmaskierten Augen fragend an und bewegten die Schwänze vergnügt hin und her. Ich besuche euch bald wieder, sagte er. Nun schlaft aber, wie sich das für so kleine artige Katzen gehört! Dann überredete er den jungen Mann, die Karte dem Stubenmädchen zur Besorgung anzuvertrauen. Ich bin Ihnen Revanche schuldig. Sie müssen sich mein Zimmer ansehen. Kommen Sie!

Sie gaben dem Mädchen die Karte und stiegen in den Fahrstuhl. Der nette Herr, der den alten Tobler so gut kennt, heißt Kesselhuth, erzählte Hagedorn. Er kam gleichzeitig mit mir im Hotel an. Und vor einer Viertelstunde hat er mich gefragt, ob er mir beim Toblerkonzern behilflich sein soll. Halten Sie es für möglich, dass er das überhaupt kann?

Warum schließlich nicht? meinte Schulze. Wenn er den ollen Tobler gut kennt, wird er's schon zuwege bringen.

Aber wie kommt ein fremder Mensch eigentlich dazu, mir helfen zu wollen?

Sie werden ihm sympathisch sein, sagte Schulze.

Dem anderen schien diese Erklärung nicht zu genügen. Wirke ich denn sympathisch? fragte er erstaunt.

Schulze lächelte. Außerordentlich sympathisch sogar!

Entschuldigen Sie, meinte der junge Mann. Ist das Ihre persönliche Ansicht? Er war richtig rot geworden.

Schulze erwiderte: Es ist meine feste Überzeugung. Nun war auch er verlegen.

Fein, sagte Hagedorn. Mir geht's mit Ihnen ganz genau so.

Sie schwiegen, bis sie im vierten Stock ausstiegen. Sie wohnen wohl auf dem Blitzableiter? fragte der junge Mann, als der andere die Stufen betrat, die zur fünften Etage führten.

Noch höher, erklärte Schulze.

Herr Kesselhut will dem Tobler meine Arbeiten schicken, berichtete Hagedorn. Hoffentlich versteht der olle Millionär etwas von Reklame. Schrecklich, dass ich schon wieder davon anfange,

was? Aber es geht mir nicht aus dem Kopf. Da rennt man sich in Berlin seit Jahren die Hacken schief. Fast jeden Tag wird man irgendwo anders abgewiesen. Dann kutschiert man in die Alpen. Und kaum ist man dort, fragt einen ein wildfremder Herr, ob man im Toblerkonzern angestellt zu werden wünscht.

Ich werde die Daumen halten, sagte der andere.

Sie schritten den schmalen Korridor entlang. Ich möchte, wenn ich wieder Geld verdiene, mit meiner Mutter eine größere Reise machen, erklärte Hagedorn. Vielleicht an die oberitalienischen Seen. Sie kennt nur Swinemünde und den Harz. Das ist für eine sechzigjährige Frau zu wenig, nicht?

Das sei auch seine Meinung, entgegnete Schulze. Und während der junge Mann von den sieben gewonnenen Preisausschreiben und den damit verbundenen geographischen Erfahrungen erzählte, schloss der andere die Tür zu dem Dachstübchen auf. Er öffnete und machte Licht.

Hagedorn blieben Stockholm und die Schären im Halse stecken. Er starrte verständnislos in die elende Kammer. Nach längerer Zeit sagte er: Machen Sie keine Witze!

Treten Sie näher! bat Schulze. Setzen Sie sich, bitte, aufs Bett oder in die Waschschüssel! Was Ihnen lieber ist!

Der andere klappte den Jackettkragen hoch und steckte die Hände in die Taschen.

Kälte ist gesund, meinte Schulze. Schlimmstenfalls werde ich die Pantoffeln anbehalten, wenn ich schlafen gehe.

Hagedorn blickte sich suchend um. Nicht einmal ein Schrank ist da, sagte er. Können Sie sich das Ganze erklären? Mir gibt man ein feudales Appartement. Und Sie sperrt man in eine hundekalte Bodenkammer!

Es gibt eine einzige Erklärung, behauptete Schulze. Man hält Sie für einen ändern! Irgendwer muss sich einen Scherz erlaubt haben. Vielleicht hat er verbreitet, Sie seien der Thronfolger von Albanien. Oder Sohn eines Multimillionärs.

Hagedorn zeigte den Glanz auf den Ellenbogen seines Anzuges und hielt einen Fuß hoch, um das biblische Alter seiner Schuhe darzulegen. Sehe ich so aus?

Gerade darum! Es gibt genug extravagante Personen unter denen, die sich Extravaganzen pekuniär leisten können.

Ich habe keinen Spleen, sagte der junge Mann. Ich bin kein Thronfolger und kein Millionär. Ich bin ein armes Luder. Meine Mutter war auf der Sparkasse, damit ich mir hier ein paar Glas Bier leisten kann. Er schlug wütend auf den Tisch. So! Und jetzt gehe ich zu dem Hoteldirektor und erzähle ich, dass man ihn veralbert hat und dass ich sofort hier oben, neben Ihnen, eine ungeheizte Hundehütte zu beziehen wünsche! Er war schon an der Tür.

Tobler sah sein eigenes Abenteuer in Gefahr. Er hielt den ändern am Jackett fest und zwang ihn auf den einzigen Stuhl. Lieber Hagedorn, machen Sie keine Dummheiten! Davon, dass Sie neben mir eine Eisbude beziehen, haben wir alle beide nichts. Seien Sie gescheit! Bleiben Sie der geheimnisvolle Unbekannte! Behalten Sie Ihre Zimmer, damit ich weiß, wohin ich gehen soll, wenn mir's hier oben zu kalt wird! Lassen Sie sich in drei Teufels Namen eine Flasche Kognak nach der ändern bringen und eine ganze Ziegelei ins Bett legen! Was schadet es denn?

Schrecklich! sagte der junge Mann. Morgen früh kommt der Masseur.

Schulze musste lachen. Massage ist gesund!

Ich weiß, erwiderte Hagedorn. Sie fördert die Durchblutung der Haut. Er schlug sich vor die Stirn. Und der Portier sammelt Briefmarken! Diese Mystifikation ist gewissenhaft durchdacht! Und ich Rindvieh bildete mir ein, die Leute hier seien von Natur aus nett. Er warf das Kuvert mit den Briefmarken beleidigt auf den Tisch.

Schulze prüfte den Inhalt fachmännisch und steckte das Kuvert ein.

Ich habe eine großartige Idee, sagte Hagedorn. Sie beziehen meine Zimmer, und ich werde hier wohnen. Wir erzählen dem Direktor, er habe sich geirrt. Der Thronfolger von Albanien seien Sie! Ist das gut?

Nein, erwiderte Schulze. Für einen Thronfolger bin ich zu alt.

Es gibt auch alte Thronfolger, wandte der junge Mann ein.

Und den Millionär glaubt man mir erst recht nicht! sagte Schulze. Stellen Sie sich das doch vor! Ich als Millionär! Lächerlich!

Sehr überzeugend würden Sie allerdings nicht wirken, gab Hagedorn offen zu. Aber ich will niemand anders sein!

Tun Sie's mir zuliebe, bat Schulze. Mir haben die drei kleinen Katzen so gut gefallen.

Der junge Mann kratzte sich am Kopf. Also schön, erklärte er. Aber bevor wir abreisen, geben wir durch Anschlag am Schwarzen Brett bekannt, dass das Hotel von irgendeinem Spaßmacher hineingelegt worden ist. Ja?

Das eilt nicht, sagte Schulze. Bis auf weiteres bleiben Sie, bitte, ein Rätsel!

 

Das achte Kapitel

Der Schneemann Kasimir

Als die beiden miteinander durch die Halle gingen, war die Empörung groß. Das Publikum fand sich brüskiert. Wie konnte der geheimnisvolle Millionär mit dem einzigen armen Teufel, den das Hotel zu bieten hatte, gemeinsame Sache machen! So realistisch brauchte er seine Rolle wirklich nicht zu spielen!

Einfach tierisch! sagte Karl der Kühne, der beim Portier stand. Dieser Schulze! Das ist das Letzte!

Die Casparius und die Mallebré machen schon Jagd auf den Kleinen, erzählte Onkel Polter. Er könnte es haben wie in Abrahams Schoß!

Der Vergleich stimmt nur teilweise, meinte der Direktor. (Er neigte gelegentlich zur Pedanterie.)

Ich sehe schon, sagte der Portier, ich werde für Herrn Schulze eine kleine Nebenbeschäftigung erfinden müssen. Sonst geht er dem Millionär nicht von der Seite.

Vielleicht reist er bald wieder ab, bemerkte Herr Kühne. Die Dachkammer, die wir ihm ausgesucht haben, wird ihm auf die Dauer kaum zusagen. Dort oben hat es noch kein Stubenmädchen und kein Hausdiener ausgehalten.

Onkel Polter kannte die Menschen besser. Er schüttelte das Haupt. Sie irren sich. Schulze bleibt. Schulze ist ein Dickkopf.

*

Der Hoteldirektor folgte den beiden seltsamen Gästen in die Bar.

Die Kapelle spielte. Etliche elegante Paare tanzten. Sullivan, der Kolonialoffizier, trank den Whisky aus alter Gewohnheit pur und war bereits hinüber. Er hing auf seinem Barhocker, stierte vor sich hin und schien Bruckbeuren mit einer nordindischen Militärstation zu verwechseln.

Darf ich vorstellen? fragte Hagedorn. Und dann machte er Geheimrat Tobler und Johann, dessen Diener, miteinander bekannt. Man nahm Platz. Herr Kesselhuth bestellte eine Runde Kognak.

Schulze lehnte sich bequem zurück, betrachtete, gerührt und spöttisch zugleich, das altvertraute Gesicht und sagte: Doktor Hagedorn erzählte mir eben, dass Sie den Geheimrat Tobler kennen.

Herr Kesselhuth war nicht mehr ganz nüchtern. Er hatte nicht des Alkohols wegen getrunken. Aber

er war ein gewissenhafter Mensch und hatte nicht vergessen, dass er täglich mindestens hundert Mark ausgeben musste. Ich kenne den Geheimrat sogar ausgezeichnet, erklärte er und blinzelte vergnügt zu Schulze hinüber. Wir sind fast dauernd zusammen!

Sie sind vermutlich Geschäftsfreunde? fragte Schulze.

Vermutlich? sagte Kesselhuth großartig. Erlauben Sie mal! Mir gehört eine gut gehende Schifffahrtslinie! Wir sitzen zusammen im Aufsichtsrat. Direkt nebeneinander!

Donnerwetter! rief Schulze. Welche Linie ist das denn?

Darüber möchte ich nicht sprechen, sagte Kesselhuth vornehm. Aber es ist nicht die kleinste, mein Herr!

Sie tranken. Hagedorn setzte sein Glas nieder, zog die Oberlippe hoch und meinte: Ich verstehe nichts von Schnaps. Aber der Kognak schmeckt, wenn ich nicht irre, nach Seife.

Das muss er tun, erklärte Schulze. Sonst taugt er nichts.

Wir könnten ja auch etwas anderes trinken, sagte Kesselhuth. Herr Ober, was schmeckt bei Ihnen nicht nach Seife?

Es war aber gar nicht der Kellner, der an den Tisch getreten war, sondern der Hoteldirektor. Er fragte den jungen Mann, ob ihm die Zimmer gefielen.

Doch, doch, sagte Hagedorn, ich bin soweit ganz zufrieden.

Herr Kühne behauptete, dass er sich glücklich schätze. Dann winkte er; und Jonny und ein Kellner brachten einen Eiskübel mit einer Flasche Champagner und zwei Gläser. Ein kleiner Begrüßungsschluck, sagte der Hoteldirektor lächelnd.

Und ich kriege kein Glas? fragte Schulze unschuldsvoll.

Kühne lief rot an. Der Kellner brachte ein drittes Glas und goss ein. Der Versuch, Schulze zu ignorieren, war misslungen.

Auf Ihr Wohl! rief dieser fidel.

Der Direktor verschwand, um dem Portier sein jüngstes Leid zu klagen.

Schulze stand auf, schlug ans Glas und hob es hoch. Die ändern Gäste blickten unfreundlich zu ihm hin. Trinken wir darauf, sagte er, dass Herr Kesselhut für meinen jungen Freund beim ollen Tobler etwas erreichen möge!

Johann kicherte vor sich hin. Mach ich, mach ich! murmelte er und trank sein Glas leer.

Hagedorn sagte: Lieber Schulze, wir kennen uns noch nicht lange. Aber vielleicht sollten wir in diesem Augenblick fragen, ob Herr Kesselhuth auch für Sie etwas unternehmen kann?

Keine schlechte Idee, meinte Schulze.

Johann Kesselhuth sagte amüsiert: Ich werde Geheimrat Tobler nahe legen, auch Herrn Schulze anzustellen. Was sind Sie denn von Beruf?

Auch Werbefachmann, antwortete Schulze.

Schön war's, wenn wir in derselben Abteilung arbeiten könnten, meinte Hagedorn. Wir verstehen uns nämlich sehr gut, Schulze und ich. Wir würden den Toblerkonzern propagandistisch gründlich aufmöbeln. Er kann's gebrauchen. Was ich da in der letzten Zeit an Reklame gesehen habe, war zum Heulen.

So? fragte Schulze.

Grauenhaft dilettantisch, erklärte der junge Mann. Bei dem Reklameetat, den so ein Konzern hat, kann man ganz anders loslegen. Wir werden dem Tobler zeigen, was für knusperige Kerle wir sind! Ist er übrigens ein netter Mensch?

Ach ja, sagte Johann Kesselhuth. Mir gefällt er. Aber das ist natürlich Geschmackssache.

Wir werden ja sehen, meinte Hagedorn. Trinken wir auf ihn! Der olle Tobler soll leben!

Sie stießen an.

Das soll er, sagte Kesselhuth und blickte Herrn Schulze liebevoll in die Augen.

*

Nachdem die von Karl dem Kühnen gestiftete Flasche leergetrunken war, bestellte der Schifffahrteibesitzer Kesselhuth eine weitere Flasche. Sie wunderten sich, dass sie, trotz der langen Reise, noch immer nicht müde waren. Sie schoben es auf die Höhenluft. Dann kletterten sie ins Bräustübl hinunter, aßen Weißwürste und tranken Münchner Bier.

Aber sie blieben nur kurze Zeit. Denn die rassige Dame aus Polen, die abends eingetroffen war, saß mit Mister Bryan in einer schummrigen Ecke, und Hagedorn sagte: Ich fürchte, wir sind der internationalen Verständigung im Wege.

Die Bar war, als sie zurückkamen, noch voller als vorher. Frau von Mallebré und Baron Keller saßen an der Theke, tranken Cocktails und knabberten Kaffeebohnen. Frau Casparius und der dicke Herr Lenz waren aus dem Esplanade zurück und knobelten. Eine stattliche Schar rotwangiger Holländer lärmte an einem großen runden Tisch. Und das sächsische Ehepaar mokierte sich über die phonetische Impertinenz der holländischen Sprache.

Später verdrängte einer der Holländer den Klavierspieler. Sofort erhoben sich seine temperamentvollen Landsleute und veranstalteten, ungeachtet ihrer Smokings und mondänen Abendkleider, echt holländische Volkstänze.

Sullivan rutschte von seinem Barhocker und nahm, da sich Fräulein Marek sträubte, als Solist und gefährlich taumelnd, an dem ländlichen Treiben teil.

Das währte rund zwanzig Minuten. Dann eroberte der Klavierspieler seinen angestammten Drehsessel zurück. Nun tanzen Sie schon endlich mit einer Ihrer Verehrerinnen! sagte Schulze zu Hagedorn. Es ist ja kaum noch zum Aushalten, wie sich die Weiber die Augen verrenken!

Der junge Mann schüttelte den Kopf. Man meint ja gar nicht mich, sondern den Thronfolger von Albanien.

Wenn's weiter nichts ist! erwiderte Schulze. Das würde mich wenig stören. Der Effekt ist die Hauptsache.

Hagedorn wandte sich an Kesselhuth. Man hält mich hier im Hotel unbegreiflicherweise für den Enkel von Rockefeller oder für einen verkleideten Königssohn. Dabei bin ich keines von beiden.

Unglaublich! sagte Herr Kesselhuth. Er bemühte sich, ein überraschtes Gesicht zu ziehen. Was es so alles gibt!

Das bleibt aber, bitte, unter uns! bat Hagedorn. Ich hätte das Missverständnis gerne richtig gestellt. Aber Schulze hat mir abgeraten.

Herr Schulze hat recht, sagte Kesselhuth. Ohne Spaß gibt's nichts zu lachen!

Plötzlich spielte die Kapelle einen Tusch. Herr Heltai, Professor der Tanzkunst und Arrangeur von Kostümfesten, trat aufs Parkett, klatschte in die Hände und rief: Damenwahl, meine Herrschaften! Er wiederholte die Ankündigung noch in englischer und französischer Sprache. Die Gäste lachten. Mehrere Damen erhoben sich. Auch Frau Casparius. Sie steuerte auf Hagedorn los. Frau von Mallebré wurde blaß und engagierte, verzerrt lächelnd, den Baron.

Nun aber ran an den Speck! befahl Schulze.

Frau Casparius machte einen übertriebenen Knicks und sagte: Sie sehen, Herr Doktor, mir entgeht man nicht.

Da werden Weiber zu Hyänen! deklamierte Schulze, der sich auskannte. Doch die Bremerin und Hagedorn waren schon außer Hörweite. Der Tanz begann.

Schulze beugte sich vor. Ich gehe in die Halle, flüsterte er. Folgen Sie mir unauffällig! Bringen Sie aber 'ne anständige Zigarre mit! Dann verließ er die Bar.

*

Geheimrat Tobler saß nun also mit seinem Diener Johann in der Halle. Die meisten Tische waren leer. Kesselhuth klappte sein Zigarrenetui auf und fragte: Darf ich Sie zu einem Kognak einladen?

Fragen Sie nicht so blöd! meinte Tobler.

Der andere bestellte. Die Herren rauchten und blickten einander belustigt an. Der Kellner brachte die Kognaks.

Nun haben wir uns also doch kennen gelernt, sagte Johann befriedigt. Noch dazu am ersten Abend! Wie habe ich das gemacht?

Tobler runzelte die Stirn. Sie sind ein Intrigant, mein Lieber. Eigentlich sollte ich Sie entlassen.

Johann lächelte geschmeichelt. Dann sagte er: Ich kriegte ja, als ich ankam, einen solchen Schreck! Der Hoteldirektor und der Portier krochen doch dem Doktor Hagedorn in sämtliche Poren! Am liebsten wäre ich Ihnen entgegengelaufen, um Sie zu warnen.

Ich werde meiner Tochter die Ohren abschneiden, erklärte Tobler. Sie hat natürlich angerufen.

Fräulein Hildegards Ohren sind so niedlich, meinte Johann. Ich wette, die Kunkel hat telephoniert.

Wenn ich nicht so guter Laune wäre, würde ich mich ärgern, gestand Tobler. So eine Frechheit! Ein wahres Glück, dass dieses verrückte Mißverständnis dazwischenkam!

Hat man Ihnen ein nettes Zimmer gegeben? fragte der Diener.

Ein entzückendes Zimmer, behauptete Tobler. Sonnig, luftig. Sehr luftig sogar.

Johann nahm dem Geheimrat ein paar Fusseln vom Anzug und bürstete mit der flachen Hand besorgt auf den violetten Jackettschultern herum.

Lassen Sie das! knurrte Tobler. Sind Sie verrückt?

Nein, meinte Johann. Aber froh, dass ich neben Ihnen sitze. Na ja, und ein klein bisschen besoffen bin ich natürlich auch. Ihr Anzug sieht zum Fürchten aus. Ich werde morgen auf Ihr Zimmer kommen und Ordnung machen. Welche Zimmernummer haben Sie, Herr Geheimrat?

Unterstehen Sie sich! sagte Tobler streng. Das fehlte gerade noch, dass man den Besitzer einer gut gehenden Schifffahrtslinie dabei erwischt, wie er bei mir Staub wischt. Haben Sie Bleistift und Papier bei sich? Sie müssen einen geschäftlichen Brief erledigen. Beeilen Sie sich! Ehe unser kleiner Millionär eintrifft. Wie gefällt er Ihnen?

Ein reizender Mensch, sagte Johann. Wir werden zu dritt noch sehr viel Spaß haben.

Lassen Sie uns arme Leute ungeschoren! meinte der Geheimrat. Widmen Sie sich gefälligst dem Wintersport und der vornehmen Gesellschaft!

Die Hoteldirektion glaubt, dass ich Doktor Hagedorn von Berlin aus kenne und es nur nicht zugeben will, erzählte Johann. Man wird also nichts dabei finden, wenn ich oft mit ihm zusammen bin. Im Gegenteil, ohne mich wäre er nie so schnell Millionär geworden! Er blickte an Tobler herunter. Ihre Schuhe sind auch nicht geputzt! sagte er. Man sah es ihm an, wie er darunter litt. Es ist zum Verzweifeln!

Der Geheimrat, dem die Zigarre außerordentlich schmeckte, meinte: Kümmern Sie sich lieber um Ihre Schifffahrtslinie!

*

So oft die Kapelle eine Atempause machen wollte, klatschten die Tanzpaare wie besessen. Frau Casparius sagte leise: Sie tanzen wirklich gut. Ihre Hand lag auf Hagedorns Schulter und übte einen zärtlichen Druck aus. Was tun Sie morgen? Fahren Sie Ski?

Er verneinte. Als kleiner Junge hatte ich Schneeschuhe. Jetzt ist mir die Sache zu teuer.

Wollen wir eine Schlittenpartie machen? Nach Sankt Veit? Den Lunch nehmen wir mit.

Ich bin mit meinen beiden Bekannten verabredet.

Sagen Sie ab! bat Sie. Wie können Sie überhaupt diesen Mann, der wie eine Vogelscheuche aussieht, meiner bezaubernden Gesellschaft vorziehen?

Ich bin auch so eine Vogelscheuche, sagte er zornig. Schulze und ich gehören zusammen!

Sie lachte und zwinkerte eingeweiht. Freilich Doktor. Ich vergesse das immer wieder. Aber Sie sollten trotzdem mit mir nach Sankt Veit fahren. Im Pferdeschlitten. Mit klingenden Glöckchen. Und mit warmen Decken. So etwas kann sehr schön sein. Sie schmiegte sich noch enger an ihn und fragte: Missfalle ich Ihnen denn so?

O nein, sagte er. Aber Sie haben so etwas erschreckend Plötzliches an sich.

Sie rückte ein wenig von ihm ab und rümpfte die Lippen. So sind die Männer. Wenn man redet, wie einem zumute ist, werdet ihr fein wie ein Schock Stiftsdamen. Sie sah ihm kerzengerade in die Augen. Seien Sie doch nicht so zimperlich, zum Donnerwetter! Sind wir jung? Gefallen wir einander? Wie? Wozu das Theater! Hab ich recht oder stimmt's?

Die Kapelle hörte zu spielen auf.

Sie haben recht, sagte er. Aber wo sind meine Bekannten?

Er begleitete sie an ihren Tisch, verbeugte sich vor ihr und vor dem dicken Herrn Lenz und entfernte sich eilends, um die Herren Schulze und Kesselhuth zu suchen.

Stecken Sie die Notizen weg! sagte Geheimrat Tobler zu seinem Diener. Dort kommt unser kleiner Millionär.

Hagedorn strahlte. Er setzte sich und ächzte. Das ist eine Frau! meinte er benommen. Die hätte Kavalleriegeneral werden müssen!

Dafür ist sie entschieden zu hübsch, behauptete Schulze.

Hagedorn dachte nach. Na ja, sagte er. Aber man kann doch nicht mit jeder hübschen Frau etwas anfangen! Dafür gibt es schließlich viel zu viele hübsche Frauen!

Ich kann dem Doktor nur beipflichten, meinte Herr Kesselhuth. Ober! Drei Korn! Und als der Kellner wieder da war - und der Korn auch - rief er: Allerseits frohe Pfingsten!

Sie kippten den farblosen Inhalt der drei Gläser. Dann fragte Hagedorn neugierig: Was tun wir jetzt? Es ist noch nicht einmal Mitternacht.

Schulze drückte die Zigarre aus und sagte: Meine Herren, Silentium! Ich erlaube mir, eine Frage an Sie zu richten, die Sie verblüffen wird. Und die Frage lautet: Wozu sind wir nach Bruckbeuren gekommen? Etwa in der Absicht, uns zu betrinken?

Es scheint so, bemerkte Kesselhuth und kicherte.

Wer dagegen ist, bleibe sitzen! sagte Schulze. Zum ersten! Zum zweiten! Zum - dritten!

Einstimmig angenommen, meinte Hagedorn.

Schulze fuhr fort: Wir sind also nicht hierher gekommen, um zu trinken.

Kesselhuth hob die Hand und fragte: Nicht nur, Herr Lehrer!

Und so fordere ich die Anwesenden auf, erklärte Schulze, sich von den Plätzen zu erheben und mir in die Natur zu folgen.

Sie erhoben sich mühsam und gingen, leise schwankend, aus dem Hotel hinaus. Die klare, kalte Gebirgsluft verschlug ihnen den Atem. Sie standen verwundert im tiefen Schnee. Über ihnen wölbte sich die dunkelblaue, mit goldnen und grünen, silbernen und rötlichen Brillantsplittern übersäte Riesenkuppel des Sternhimmels. Am Mond zog ein verlassenes weißes Wölkchen vorüber.

Sie schwiegen minutenlang. Aus dem Hotel klang ferne Tanzmusik. Herr Kesselhuth räusperte sich und sagte: Morgen wird's schön.

Männer neigen, ergreifenden Eindrücken gegenüber, zur Verlegenheit. So kam es, dass Hagedorn erklärte: So, meine Herrschaften! Jetzt machen wir einen großen Schneemann!

Und Schulze rief: Ein Hundsfott,





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